Workshop Dr. Birte Kleine-Benne:
I AM A NETWORK. Subjektivierungspraktiken in der Kunst der nächsten Gesellschaft
Dienstag, 27.04.2010, 14-20h
Mittwoch, 28.04.2010, 14-20h arttransponder Projektraum, Brunnenstr. 151, 10115 Berlin
Aufgrund der begrenzten Teilnehmerzahl wird um Anmeldung gebeten: i n f o [at] a r t t r a n s p o n d e r . n e t
Ziel des zweitägigen Workshops, der sich an KünstlerInnen, TheoretikerInnen, KulturproduzentInnen und thematisch Interessierte richtet, ist neben einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Fokus auf die sog. Netz(werk)gesellschaft ("Web as Culture") die Konzeption und Entwicklung eines sog. Networking-Kit, um "alleinigen Schöpfers einmaliger literarischer bzw. künstlerischer Werke" einen Kulturwechsel zu erleichtern. Denn: Selbstorganisierte Sozialeinheiten wie Multituden (Hardt/Negri), Cliquen, Büros und Werkstätten (Baecker), kollektive Intelligenzen (Lévy) oder virtuelle Gemeinschaften (Rheingold) scheinen heute das Bild des handelnden Subjekts zu prägen. Auf das autonome, rationale (weiße, bürgerliche, männliche) Subjekt des 19. und 20. Jahrhunderts, dessen Auflösung die (post-) strukturalistische und dekonstruktivistische Dezentrierung des Subjekts in Angriff nahm, folgen wohl kollektive, kooperative, konnektive, eben Gemeinschaftsformen.
Heute können wir in Zeiten von Globalisierung, Computerisierung und Immaterialisierung nicht mehr nur von der Beteiligung menschlicher Akteure an Subjektivierungspraktiken ausgehen. Nach Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie etwa wirken auch andere Handlungsträger als "Ko-Akteure des Sozialen" wie etwa Räume, Sprache, Dinge, Bilder etc. Übertragen und erweitert auf vernetzte, digitale Umgebungen heißt das: Auf digitalen Territorien verschmelzen Teilnehmer, Informationen, Mitteilungen, soziale Beziehungen, Techniken, Technologien... über die digitalen Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten zu heterogenen und temporären Dynamiken.
Und wie steht es in und mit der Kunst? Wird die singuläre Autorenschaft durch Identitäten und Methoden im Plural abgelöst? Oder war sie ohnehin nur eine zwischenzeitliche Episode in der modernen (Buchdruck-) Gesellschaft? Ist Kunst ein Trainingsfeld neuer Subjektformen und Subjektivierungsprozesse? Werden/wurden hier beispielsweise Praktiken der Arbeit (kreativ, eigenverantwortlich, flexibel), Praktiken der Beziehung (kollegial statt familiär), Praktiken der Sozialisierung (Produzent und Konsument zugleich), Praktiken des Konsums (erhellend statt verschwendend) als neue Codes entwickelt, erprobt und in die Praxis übersetzt? Wurde hier vielleicht sogar die "Avantgarde der Nicht-Arbeit" und das "Neoliberal Cultural Enterprise Vorzeige Subject" (Schäfer) kreiert?
Zentralisierte, dezentralisierte und verteilte Netzwerke. Markues 2009, nach Paul Baran 1964.
27.4.2010
THEMENINTERESSEN
- Storrytelling
- Klimawandel
- Stadterneuerung
- kollaborative Architektur
- global - lokal
- gesellschaftspolitische Relevanz
- kollektive Autorschaft
- Praxisstrategien
- On- und Offlinenetzwerke
- Orts- und Disziplinlosigkeit
- Wie leben Kuenstler in der Zukunft?
- Abbildbarkeit von Dissenz
- Netzwerk als Bildhauerei
- Der Einzelne als Knotenpunkt
- Schnittstelle analog/digital, real/virtuell
- Was ist ein Netzwerk?
- Das Wissen des Kollektivs
- Wissen/Nichwissen
- Netzwerkqualitaeten
- Mobilitaet, Verortung
- kollektive Identitaet oder institutionelle Form eines Netzwerks
- Offline-Open-Source
- Scheitern als Impuls fuer Netzwerke
- Filterungen
KITINHALTE
- Wiki
- Open-Source-Tools: Google Docs, Google Maps/Earth, Web Space, Blog, Communities...
- D/G-Text
- existierende Netzwerke
- analoge Moeglichkeitsraeume
- Raeume, Treffpunkte
- offline Kontaktknotenpunkte
- neue Sprache
- Geduld
- Richtlinien fuer kollektive Autorschaft
- Metablick: warum eigentlich?
- Archiv der Geschichte des Kits
- Manual/Katalog fuer Netzwerkaufbau und Pflege
- Pflegetipps fuer Kontakte
- Netzwerkerweiterungen
- Koffer an sich?
- kein Telefon
- die Idee des Ichs
- Faehigkeit, einen Addressaten zu kreieren
- Linkliste
- Kommunikationstools (Tags, Wiki)
- laufende Projekte und Netzwerke
- Streetart, z.B. variables und flexibles Stempelset (analog)
- ethische Verbindlichkeiten
- Beipackzettel fuer Risiken und Nebenwirkungen
Schwerpunkt: KONTEXT
1. EINLEITUNG
Ping, A Social-Networking Garment That Updates Your Every Move
>>
--> Form der künstlerischen Praxis: kollektives bzw. konnektives Produzieren, prozessgeleitetes Arbeiten in selbstbestimmten, selbstorganisierten und selbstautorisierten Projekten mit dysfunktionalen Regelwerken, gestützt von transversalen Online-Projektplattformen und veränderte oder neue Netzwerke in Gang setzend
Seminar Net-work-ed Art >>
Sommersemestr 2010, Donnerstag, 12 bis 14 Uhr
Institut fuer Kunst im Kontext, Einsteinufer 43-53, UdK Berlin, Raum 307
Networking as Art, Tatjana Bazzichelli, 2008 >>
"To Network means to create relationship networks, in order to share experiences and ideas in the context of a communicative exchange, and an artistic experimentation in which the sender and the receiver, the artist and the public, act on the same plane." S. 18
"Urheber" --> Autorenschaften in der zeitgenoessischen Kunstpraxis:
- selbstautorisierte, selbstbestimmte und selbstorganisierte Projekt- und/oder Prozessbeziehungen
- uneinheitlich, fluid, temporär, verteilt in verschiedenen Konstellationen
- je nach Thema unter Einbindung unterschiedlicher Techniken und Technologien
- Teilnehmer, Informationen, Mitteilungen, soziale Beziehungen, Techniken, Technologien verschmelzen miteinander
- manchmal begrenzt, manchmal unbegrenzt, manchmal lokal, manchmal global
- vielfältige Bezeichnungen, Konstellationen und Konfigurationen
- synchron uneinheitliche Erfahrungen
--> konnektive Aggregationen
"Werk" --> Work in Progress in der zeitgenoessischen Kunstpraxis:
- temporäre, prozessuale und dynamische Ergebnisse
- von den Beteiligten nur teilweise zu beeinflussen und nur teilweise intendiert
- disziplinlos: transitorisch (vorübergehend flüchtig), transitiv (die Systeme durchquerend) und transversal (quer zu den Systemen verlaufend)
- verschiedene Medien, Materialien, Gattungen, Genres...
Beispiele:
Atelier van Lieshout, Clandestine Insurgent Rebel Clown Army (CIRCA), Critical Art Ensemble, Dunst, etoy, Guerilla Girls, Irwin, Luther Blissett, monochrom, Neue Slowenische Kunst, Old Boys Network, Park Fiction, Raqs Media Collective, RTMark, Rimini Protokoll , RTMark, Superflex, Wochenklausur...
5. AUSBLICKE
Quelle: Die Stadt ist unsere Fabrik, Christoph Schäfer, 2010.
Quelle: Die Stadt ist unsere Fabrik, Christoph Schäfer, 2010.
Quelle: Die Stadt ist unsere Fabrik, Christoph Schäfer, 2010.
Quelle: Die Stadt ist unsere Fabrik, Christoph Schäfer, 2010.
"Ein Knoten (bestehend aus Fäden) kann ein Netz konstituieren, das seinerseits zum Knoten für ein (aus verflochtenen Netzen bestehendes) Netzwerk wird."
Weber, Stefan 2001: Medien - Systeme - Netze. Elemente einer Theorie der Cyber-Netzwerke, Bielefeld, S. 76.
"Ein Faden wäre zunächst so etwas wie ein Letztelement, ein basaler Bestandteil. Mehrere Fäden können, wenn sie verknüpft werden, einen Knoten bilden. Mehrere Knoten und Fäden bilden ein Netz, mehrere verbundene Netze ein Netzwerk. Nimmt die Anzahl der Fäden und/oder Knoten in einem Netzwerk zu, spricht man von Vernetzung. [...] Netze haben immer eine messbare Vernetzungsdichte, einen 'Vernetztheits-' oder 'Konnektivitäts-Koeffizienten', wenn man so will. Wir sprechen also immer von +- Ver-/Entnetzung."
Weber 2001, S. 70f.
Deleuze, Gille / Gattari, Félix 1977: Rhizom, Berlin
- Prinzip der Konnexion
- Prinzip der Heterogenität
- Prinzip der Vielheit
- Prinzip des asignifikanten Bruchs
- Prinzip der Kartographie
- Prinzip der Dekalkomonie
Internet = Interconnected Networks >>
A Declaration of the Independence of Cyberspace by John Perry Barlow, 1996, eng und ger
What is web 2.0, Tim O'Reily, 30.9.2005 ger
http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0 >>
Weber, Stefan 2001: Medien - Systeme - Netze. Elemente einer Theorie der Cyber-Netzwerke, Bielefeld, S. 45.
Michael Gleich, Web of Life, 2002
1. Komplexität: Netze handeln komplex. "Lebende Netze bestehen aus vielen Komponenten, die untereinander agieren und reagieren. Auf Impulse von aussen antworten aufgrund der Verflechtung nicht einzelne Knoten, sondern ein ganzes Ensemble. Dadurch lässt sich das Verhalten eines Netzes schwer voraussehen und kontrollieren."
2. Nichtlinearität: Netze leben nichtlinear. "Aufgrund von zahlreichen inneren Wechselwirkungen zeigen Netze nichtlineares Verhalten, das heisst, Ursachen und Wirkungen stehen nicht in proportionalem Verhältnis. Durch positive Rückkopplung können sich kleine Ereignisse folgenreich aufschaukeln."
3. Emergenz: Netze erfinden Neues. "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Dieses 'Mehr', die neue Qualität, entsteht durch die jeweilige Art der Vernetzung. Sie erzeugt höhere Komplexität aus vielen einfachen Komponenten. So wächst das Einzelne über sich selbst hinaus. Mehr ist anders."
4. Lernfähigkeit: Netze antworten flexibel. "Netze sind in der Lage, ihre Stabilität zu bewahren, während sie auf Veränderungen und Impulse der Umwelt reagieren. Bei Störungen von aussen verändern sie das Muster ihrer Verschaltung. Je komplexer, desto mehr Optionen für den Wandel."
5. Selbstorganisation: Netze ordnen Chaos. "Komplexe, nichtlineare Systeme können sich aus eigener Kraft strukturieren und Stabilität gewinnen. Die interagierenden Elemente handeln nach einfachen Regeln und erschaffen dabei aus Chaos Ordnung, ohne eine Vision von der gesamten Entwicklung haben zu müssen."
6. Chaos: Netze erzeugen Chaos. "Lebende Netze bewegen sich in einem kritischen Phasenübergang zwischen Chaos und Ordnung. Dort finden sie Kreativität und Stabilität in optimaler Mischung. Am Rande des Chaos ringen sie um ein Fließgleichgewicht, das innovationsfeindliche Erstarrung ebenso hindert wie krisenanfällige Anarchie."
7. Robustheit: Netze verzeihen Fehler. "Rechnen, Denken und Handeln verteilen sich in Netzen auf eine Vielzahl von Komponenten. Wichtige Funktionen sind redundant, das heisst mehrfach angelegt. Versagt ein Teilsystem, springen andere ein. Das System duldet kleine Fehler, um große zu vermeiden."
8. Symbiosen: Netze nutzen Symbiosen. "Bündnisse zu wechselseitigem Nutzen sind eine Form von Vernetzung, bei der die Partner gemeinsam gewinnen und verlieren, gleichzeitig lernen und lehren. Symbionten können aber auch zu Parasiten werden und umgekehrt. Das Auftreten von Schmarotzern stimuliert oft eine Koevolution von Fortschritten."
9. Diversität: Netze vereinen Vielfalt. "Netze vereinen die verschiedensten Varianten, Charaktere, Funktionen, ohne deren Unterschiede zu nivellieren. Hohe Vielfalt erschafft ein Mehr an Möglichkeiten, flexibel auf Umweltveränderungen zu reagieren."
10. Small World: Netze verkleinern Welten. "Obwohl selbstorganisiert, verknüpfen sich lebende Netze nicht nach dem Zufallsprinzip. Sie zeigen immer Ähnliche Muster: Eine kleine Zahl von Knoten ist hochgradig, der überwiegende Teil gering vernetzt. Die inhomogene Struktur wirkt stabilisierend, denn zufällige Ausfälle treffen mit hoher Wahrscheinlichkeit gering vernetzte Knoten. Das System funktioniert weiter."
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